125 Jahre WEG
Lateinschule, Realanstalt, Progymnasium und Gymnasium
Der geschichtliche Weg zum heutigen Wilhelm-Erb-Gymnasium ist in vielfältiger Weise zeittypisch: Er spiegelt unterschiedliche Antworten auf die Frage, wie eine zweckmäßige Bildung zur Bewältigung von Zukunftserfordernissen gestaltet sein soll.
Die erste Antwort: Lateinschule
Die Lateinschule Winnweiler nahm am 16. Oktober 1873 Ihren Unterrichtsbetrieb auf. Sie war eine Schule, die die Aufgabe hatte, "die Schüler für die am Gymnasium zu erlangende höhere Bildung vorzubereiten". Im heutigen Sinn wäre sie als eine Art gymnasiale Sekundarstufe-I (eines Humanistischen Gymnasiums) anzusehen. Solcherlei Schulen entstanden in den 1870er Jahren in der damals zum Königreich Bayern gehörenden Pfalz gleich an mehreren Orten: so 1873 außer in Winnweiler in Landstuhl (heutiges Sickingen-Gymnasium) und in Ludwigshafen (heutiges Theodor-Heuss-Gymnasium). Über die Inhalte von Lateinschule vgl. den nachfolgenden Beitrag.
Ad Fontes
Die Lateinschule Winnweiler
Wie soll Bildung zur Bewältigung von Zukunftsaufgaben gestaltet sein? In den 1870er Jahren lautete die Antwort in Deutschland noch überwiegend: Nach dem Fächerkanon der Lateinschule.
Dass für eine solche Schule auch in Winnweiler und Umgebung eine rege Nachfrage bestand, zeigen die Anmeldungen: 37 Schüler wurden am 13. Oktober 1873 in die erste Klasse der zukünftigen Lateinschule Winnweiler aufgenommen. Drei
Tage später begann der Unterricht.
Er richtete sich nach der "Revidierten Ordnung der lateinischen Schulen und der Gymnasien in Bayern" von 1854. Diese Schulordnung gibt einen anschaulichen Einblick in die Organisationsstruktur einer Lateinschule:
Im Sinne des § 5 dieser Schulordnung war die Lateinschule Winnweiler eine "vollständige", also eine in allen Jahrgangsstufen geführte. Dazu ist sie als "für sich bestehend" einzustufen, da sie nicht direkt mit einem Gymnasium verbunden war; das nächstgelegene war das in Kaiserslautern. Lateinschulen waren demnach die "Vorschulen" der Gymnasien.
Schulordnung
Aufgenommen wurden Schüler ("Knaben"!) im Alter von 10 bis 13 Jahren. Der Unterricht umfasste 22 Wochenstunden. Darunter waren in der 1. und 2. Klasse je 10 Lateinstunden, in der 3. und 4. Klasse je 8 Latein- und 5 Griechischstunden. Das altphilologische Übergewicht war also überdeutlich. Es setzte sich in den Gymnasien fort. Auch das Gymnasium umfasste vier Schuljahre (mit je 13 bzw. 14 von 28 Wochenstunden Latein- und Griechischunterricht).
So war es kein Wunder, dass beispielsweise die Hauptversammlung Deutscher Ingenieure 1886 erklärte: "Der auf der Vergangenheit, auf der Erlernung der lateinischen und griechischen Sprache beruhende und damit im wesentlichen nur für das Studium der Philosophie und Theologie zweckmäßig angeordnete Lehrplan des Gymnasiums (wie auch der Lateinschule - kk) gibt nicht eine den Bedürfnissen der Gegenwart entsprechende Ausbildung."
Verständlich wird diese Kritik, wenn man bedenkt, dass in dieser Zeit in Deutschland die Hochindustrialisierung in vollem Gang ist. Doch war das starre Lateinschul-/Gymnasial-System inzwischen in Bewegung. So sah die neue bayerische
Schulordnung von 1874 für die Lateinschulen vor:
Gleichzeitig wurde aber auch der Unterrichtsumfang von vier auf fünf Jahrgangsstufen erweitert. (Die vier anschließenden "Gymnasialjahrgänge" bleiben unverändert erhalten.)
Doch bestand nun wenigstens durch die Erweiterung des Fächerspektrums die Möglichkeit einer ansatzweisen Öffnung des Unterrichts für die Erfordernisse des anbrechenden "technischen Zeitalters".
Das daraus resultierende Unterrichtsgeschehen an der "Königlichen Lateinschule Winnweiler" ist quellenmäßig insoweit recht gut erschließbar, als die Schulordnung festlegte, dass die "Unterrichtsergebnisse" jährlich öffentlich bekannt zu machen seinen. Die erfolgte in gedruckten "Jahresberichten", die damit als eine Art Vorläufer der heutigen "WEG-Bücher" anzusehen sind; als eine Art jedoch nur insofern, als sie neben den Schülerlisten v.a. die Stoffpläne der einzelnen Klassenstufen enthielten, ergänzt um einen kurzen Bericht des "K.Subrectors" über das jeweilige Schuljahr. Besondere Aufmerksamkeit verdient dabei der Bericht von Subrector Joseph Bucher über das Schuljahr 1900/1901. Er bemerkt: "Die von dem Gemeinderat gestellte Bitte um Verbindung von Realklassen mit der Lateinschule war vom K.Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten genehmigt worden, daher trat auch bereits in diesem Schuljahr der I.Realkurs ins Leben."
Neben dem "Lateinschulzweig" bestand nunmehr ein "Realschulzweig", der nach den Schulordnungen für die bayerischen Realschulen von 1894 bzw. 1907 ein Angebot in der Pflichtfremdsprachen mit Französisch und Englisch sowie in den Naturwissenschaften mit Physik, Biologie und Chemie umfasste. Die Entwicklung der Schule zur "Realanstalt" war damit vorgezeichnet. Denn die Schülerzahlen sprachen schnell für sich: Für den Realzweig erfolgten mehr Anmeldungen als für den Lateinzweig. Der Schritt zur Umwandlung der Schule in eine "Realanstalt" vollzog deshalb 1927 eine immanente Konsequenz. Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage war nicht mehr die des Jahres 1873.
Dr. Klaus Kremb
Die zweite Antwort: Realanstalt
Die Zeiten änderten sich: Latein und Griechisch spielten im Bewusstsein der 1920er Jahre nicht mehr die Rolle wie noch fünfzig Jahre vorher. Den "Realien", also den Naturwissenschaften und den modernen Fremdsprachen, galt nun das bevorzugte Interesse. Mit Beginn des Schuljahres 1927/28 wurde die Lateinschule Winnweiler deshalb in eine "Realanstalt" umgewandelt. Nach wie vor war die Schule damit eine gymnasiale Sekundarstufe I -- nun aber nicht mehr eines Humanistischen Gymnasiums, sondern einer Oberrealschule bzw. eines Realgymnasiums. (Unverändert blieb die Schule damit im Blick auf die Sekundarstufe II auf Kaiserslautern orientiert: War dies bis 1927 die Oberstufe des dortigen Albert-Schweitzer-Gymnasiums, so nunmehr die des Hohenstaufen-Gymnasiums.) Auch baulich geschah in dieser Zeit der schulischen Neuorientierung einiges: 1929 - im Jahr der Weltwirtschaftskrise also - zog die Schule vom (heutigen) Messeplatz in ihr neues Gebäude um, den (heutigen) Schul-Altbau.
Die dritte Antwort: Progymnasium
Wie sehr der Wiederaufbau nach 1945 auch neue Zeichen in der Schullandschaft setzte, zeigt die dritte Phase unserer Schulgeschichte: 1949 wurde aus der sechsklassigen Realschule ein "Naturwissenschaftliches und Neusprachliches
Progymnasium". Nach wie vor war die Schule damit zwar eine gymnasiale Sekundarstufe I, doch war in ihrem Namen das Schulprogramm nun deutlich konturiert. Ihren heutigen Namen Wilhelm-Erb-Gymnasium erhielt die Schule 1965 -
aus Anlass des 125. Geburtstages von Wilhelm-Erb.
Die vierte Antwort: Gymnasium
Der Aufbau zum "Vollgymnasium" (also mit einer Sekundarstufe-II mit Abiturabschluss) begann dann 1967. Drei Jahre später - 1970 - konnte der erste Abiturjahrgang die Schule verlassen (vgl. WEG-Buch 1990-95. S.153). 1973 wurde
der nunmehr notwendige Schulerweiterungsbau (der "Neubau") eingeweiht; 1996 schließlich konnte das neue Obergeschoss des WEG seiner Bestimmung übergeben werden.
Quellen und Danksagung: Für die Bereitstellung der Schulordnungen von 1854, 1874, 1894 und 1907 danke ich dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv München. Die dortigen Akten der Lateinschule Winnweiler (2 Bde., 1873-1911) gehören
allerdings zu den Kriegsverlusten. Für einzelne Hinweise zur Geschichte des WEG danke ich Herbert Mühlhan. Von ihm und Georg Scheidel stammt im übrigen die einschlägige Darstellung der ersten einhundert Jahre der WEG-Geschichte in:
Wilhelm-Erb-Gymnasium (Hrsg.), 100 Jahre Wilhelm-Erb-Gymnasium, Winnweiler 1973, S. 12-31.